Der Versandhändler Amazon möchte in Großbritannien Versicherungsexperten einstellen. Diese sollen neue Geschäftsfelder in der Versicherungsbranche erschließen, so spekuliert Mirko Wenig im Versicherungsboten. Erste Anhaltspunkte gibt es bereits: Amazon bietet seit 2016 mit der Protect-Versicherung einen Geräteschutz für Produkte an, die über den Online-Marktplatz verkauft werden.
Auf den ersten Blick ist der Schritt zu weiteren Versicherungsprodukten nicht weit, denn Amazon verfügt über Kundendaten, von denen Versicherer nur träumen können. Amazon weiß, welcher Kunde wann was bestellt bzw. wonach er gesucht hat, und seit Einführung von Alexa verfügt Amazon auch über Informationen aus dem direkten Lebensumfeld des Kunden. Gibt es also bald eine Amazon-Hausrat- und Haftpflichtversicherung? Oder gar ganz neue Versicherungsprodukte, die auf die Lebenssituation des Kunden zugeschnitten sind?
„Auch Analystin Davies prognostiziert, dass Amazon ganz neue Tarife entwickeln will, weil der Markt sie bisher nicht bereithält.“
Ich bin skeptisch. Schaut man genauer auf das Protect-Angebot, so ist festzustellen, dass es sich hier nicht um ein Amazon-Produkt handelt. Vielmehr stammt die Versicherungspolice von der London General Insurance Company Limited bzw. der ERGO.
Amazon hat demnach noch keine Versicherungslizenz erworben, sondern beschränkt sich auf die Makler-Rolle. Aus meiner Sicht ist das keine Überraschung, denn Aufwand und Risiko für die Etablierung und Betrieb einer eigenen Versicherung sind nicht unerheblich, außerdem erschwert die Regulatorik in den meisten Ländern einen solchen Schritt. Diese Einschätzung teilt auch Marko Petersohn auf procontra online.
Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Digital Champion in der Versicherungsbranche erfolglos bleibt. Google wollte am Anfang der Zehner-Jahre ein Versicherungsvergleichsportal etablieren, was einige deutsche Assekuranzen befürchten ließ, dass der nationale Umsatz über Vergleichsportale drastisch ansteigen würde. Tatsächlich musste Google aber seinen Aggregator im Jahr 2016 einstellen.
Zwei Erkenntnisse lassen sich aus Amazons Gehversuchen in der Versicherungsbranche dennoch ableiten:
- Mit Amazon tritt ein weiterer Player auf, der direkten Zugang zum Kunden hat. Für Versicherungen besteht also das Risiko, dass sie sich noch weiter von ihren Kunden entfernen. Der Kampf um die Versicherungskunden-Schnittstelle wird also zunehmen, und Versicherungen müssen sich überlegen, welche Rolle sie in digitalen Ökosystemen einnehmen wollen.
- Einen generellen Trend zu On-Demand-Versicherung abzuleiten, wäre sicher nicht richtig. Die Protect-Police zeigt allerdings, dass Ad-hoc-Abschlüsse von Versicherungsverträgen auf Basis eines (geweckten) spontanen Bedarfs an Bedeutung gewinnen werden. Versicherer müssen sich auf solche Versicherungsprodukte einstellen.