Durch die technologische Entwicklung stehen den Versicherern immer mehr Daten über ihre Kunden zur Verfügung, zum Beispiel Telematik-Informationen oder Fitness-Daten aus Gesundheits-Apps. Häufig wird die Befürchtung geäußert, dass den Versicherern damit ein immer genaueres risikoadäquates Pricing bis hin zum Individualtarif ermöglicht wird. Am Ende der Entwicklung ist dann das Kollektiv aller Versicherten abgeschafft.
Im Blog-Artikel „Zwischen Individualisierung und Solidarität“ beleuchtet der GDV (Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V.) diesen Sachverhalt und relativiert gleichzeitig die Gefahr der Entsolidarisierung.
Denn zusätzliche Daten führen zwar zu einer genaueren Berechnung des Erwartungswertes eines individuellen Schadens, ob der Schaden dann tatsächlich eintritt, ist dennoch weiterhin eine Frage der Wahrscheinlichkeit. So kann es sein, dass auch ein aggressiver Autofahrer bis zu seinem Lebensende niemals einen Unfall verursacht oder ein Kettenraucher 95 Jahre alt wird.
Zweck einer Versicherung ist aber nur, die Abweichungen vom individuellen Erwartungswert aller Versicherungsnehmer „abzusichern“:
„Ein Kollektiv bedeutet, gemeinsam das Risiko zu tragen, dass der tatsächliche Schaden eines Einzelnen von dessen Erwartungswert abweicht“
Im Übrigen haben Versicherer schon immer versucht, möglichst gut den individuellen Erwartungswert des Schadens eines Versicherungsnehmers zu ermitteln. Daher muss jeder Kunde vor Abschluss eines Vertrags zahlreiche Informationen über sich bzw. das zu versichernde Objekt mitteilen.
Das ist auch die Erwartungshaltung des Versicherungskunden: Ein KFZ-Versicherter, der eine Garage hat und damit Marder-Schäden vermeidet, fände es ungerecht, wenn er eine genauso hohe Prämie zahlen müsste wie jemand, der keine Garage hat und häufiger Schäden einreicht.
Dennoch ist der kritische Blick der Verbraucherschützer auf verhaltensabhängige Tarife sinnvoll:
„Wenn jeder nur an sich selber denkt, geht die Solidarität verloren.“
Dass es einmal so weit kommt, dass Schadensereignisse exakt vorausberechnet werden können und damit die Individualisierung der Versicherungstarife auf die Spitze getrieben wird, ist aus meiner Sicht trotz IoT und Big Data eher unwahrscheinlich.
Denn letztendlich werden Versicherer niemals Zugriff auf alle verfügbaren Messpunkte haben – sei es z.B. aus rechtlichen Gründen, weil Kunden es nicht wollen oder weil es keine gesellschaftliche Akzeptanz gibt. Und außerdem werden niemals alle Einflussfaktoren von Schadenereignissen bekannt sein, so dass eine vollständige Tarif-Individualisierung nur sehr schwer möglich sein wird.
Aktuare werden aber dennoch versuchen, einen immer besseren individuellen Erwartungswert der Schäden ihrer Kunden zu berechnen, um damit das risikoadäquate Pricing zu verbessern. Bisher haben Versicherer aber wenig Erfahrung mit der Nutzung zusätzlicher Datenquellen und der Verarbeitung von Big Data. Hier ist noch eine steile Lernkurve zu erwarten.
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