Sinkende Margen im Rückversicherungsgeschäft zwingen die Rückversicherer, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Daher ist es naheliegend, die eigene Wertschöpfungskette zu erweitern, indem Rückversicherer das vorhandene Know-how im Bereich Erstversicherung nutzen und auch Endkunden direkt versichern.
Friederike Krieger und Anna Gentrup zeigen in ihrem Artikel in der Süddeutschen Zeitung, wie Rückversicherer systematisch bisher nicht versicherte Risiken in den Blick nehmen und Endkunden entsprechende Policen anbieten. Als Beispiel wird eine Art Produktionsausfallversicherung für kenianische Viehzüchter inkl. passender Assistance-Leistungen genannt.
„Alle Rückversicherer suchen den Schulterschluss mit Versicherungs-Start-ups, den sogenannten Insurtechs.“
Erleichtert wird dies durch die Digitalisierung, die es den Rückversicherern ermöglicht, zusammen mit InsurTechs Versicherungsprodukte anzubieten, die sich für etablierte Erstversicherer nicht rechnen, weil eine starre Organisation und Prozesse sowie eine alte IT das Produkt zu teuer machen.
Ich finde es schlüssig, dass Rückversicherer nun Risiken versichern, die Erstversicherer bisher nicht abgedeckt haben. Damit können sie ihr Geschäftsmodell erweitern, ohne einen Konflikt mit ihren Kunden einzugehen. Rückversicherer müssen sich auch nicht mit einer Erstversicherungs-Legacy-IT herumschlagen, die unflexibel ist und die Kostenquote der Produkte belastet, sondern können im Wesentlichen „auf der grünen Wiese“ anfangen.
Wenn Rückversicherer diese Leistungen nicht alleine anbieten, sondern InsurTechs in das Boot holen, beschleunigt das Time to Market und stellt sicher, dass innovative digitale Lösungen angeboten werden. Auch die Vertriebskosten können niedrig gehalten werden, wenn im Wesentlichen auf digitale Vertriebskanäle gesetzt wird. Nicht nur hier haben InsurTechs ihre Stärken.
Im Unterschied zu den meisten Erstversicherern haben Rückversicherer derzeit auch noch genügend freies Kapital für Investitionen zur Verfügung. Aus deren Sicht ist sinnvoll, das Geld in InsurTechs zu investieren, da sich andernfalls Investoren aus anderen Branchen an InsurTechs beteiligen und damit Nicht-Versicherungsunternehmen sich Zutritt zur Versicherungsbranche verschaffen.
Last but not least: Viele neue Versicherungsprodukte und deren Assistance-Leistungen basieren auf der Analyse immer umfangreicher verfügbarer Datenmengen, wie im obigen Beispiel die Auswertung von Wetterdaten bzgl. einer möglichen Austrocknung von Weiden in Kenia zeigt.
Rückversicherer haben hier sicher einen großen Know-how-Vorsprung gegenüber den meisten Erstversicherern und auch InsurTechs, da das Geschäftsmodell von Rückversicherern in erheblichem Maß von zuverlässigen globalen Schadensprognosen abhängt. Rückversicherer haben daher schon immer umfangreiche Datenanalysen durchgeführt und sich frühzeitig mit Big Data beschäftigt.
Müssen sich Erstversicherer also Sorgen machen, dass die Rückversicherer ihnen das Geschäft streitig machen? Aus meiner Sicht sind derartige Sorgen unbegründet, da Rückversicherer ihr Kerngeschäft sicher nicht grundsätzlich kannibalisieren wollen. Rückversicherer besetzen aber zunehmend bisher vernachlässigte Erstversicherungsbereiche, die eigentlich die Erstversicherer mit Hilfe der Digitalisierung für sich gewinnbringend hätten erschließen können. Aber es bleibt der Trost, dass damit branchenfremde Investoren ferngehalten werden.
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