Das Kerngeschäft von Versicherungen ist die Bewertung von Risiken. Eine Forschungsgruppe der Universitäten von Warschau und Stanford hat jetzt gezeigt, dass die frei zugänglichen Bilddaten von Google Street View Risikomodelle und damit die Risikobewertung deutlich verbessern können, berichtet der Technology Review. Ein entsprechendes potenzielles Vorgehen von Versicherern wirft aber generell ethische Fragen zur Verwendung von personenbezogenen Daten auf.
Die Forscher konnten anhand von Street-View-Bildern Rückschlüsse auf die KFZ-Unfallwahrscheinlichkeit der Hausbewohner ziehen. Diesen Sachverhalt könnten Versicherungsunternehmen nutzen, um das risikoadäquate Pricing von KFZ-Versicherungen zu verbessern. Für den Test wurden 20.000 Versicherungspolicen von polnischen Versicherten verwendet. Zusätzliche Informationen waren Adressdaten sowie wie häufig der Versicherte Ansprüche gegenüber dem Versicherungsunternehmen geltend gemacht hat.
Das Universitätsteam nutzte darüber hinaus frei verfügbare Google-Street-View-Bilder der Häuser der Versicherten, um daraus eine Prognose über die zukünftige Schadenwahrscheinlichkeit abzuleiten. Dabei wurden die Häuser in verschiedene Kategorien wie Einfamilienhaus, Reihenhaus und Mehrfamilienhaus eingeteilt und das Alter und der Zustand der Häuser ermittelt. Das überraschende Ergebnis war, dass die Analyse der Informationen aus Street View die Wahrscheinlichkeit, dass der Versicherungsnehmer einen Anspruch geltend macht, besser voraussagen konnte als das klassische Risikomodell des Versicherers.
„Die Zustimmung der Kunden zum Speichern ihrer Adressen bedeutet nicht unbedingt eine Zustimmung zum Speichern von Informationen über das Aussehen ihrer Häuser.“
Es stellt sich allerdings die Frage, ob solche frei zugänglichen Daten überhaupt genutzt werden dürfen. Die Versicherten haben der Versicherung zwar ihre Adressdaten bereitgestellt, allerdings einer Verknüpfung mit anderen Datenquellen nicht explizit zugestimmt. Vermutlich wären die meisten Versicherungsnehmer hiermit nicht einverstanden.
Meine Empfehlung wäre in jedem Fall, entsprechende Daten nicht zu nutzen, auch wenn die Ergebnisse verlockend klingen und eine Nutzung weiterer öffentlicher Daten über Street View hinaus sicher zu einer noch weiteren Verbesserung der Risikobewertung führen würde. Der Vorsprung bei der Selektion positiver Risiken gegenüber anderen Versicherern wäre damit hoch. Allerdings ist das Risiko einer Rufschädigung nicht unerheblich, selbst wenn die Daten legal verwendet wurden. Und Vertrauen spielt bei Versicherern noch einmal eine größere Rolle als bei Amazon & Co.
Es sollte daher immer eine explizite Zustimmung des Kunden eingeholt werden. Dass diese von nicht wenigen Kunden erteilt wird, ist aber gar nicht so unwahrscheinlich. Denn stellt man den Kunden vor die Wahl, entweder 20 Fragen zu Garagennutzung, Alter der Fahrzeugnutzer, Wildschäden etc. oder stattdessen nur drei Fragen zu beantworten und dafür ergänzend aber Zugriff auf das Facebook-Profil oder über PSD2 auf Bankdaten zu gewähren, werden sicher etliche der bequemeren und schnelleren Variante zustimmen. Bereits jetzt haben die allermeisten Handynutzer nichts dagegen, ihre Nutzungsdaten bereitzustellen, wenn sie im Gegenzug eine App kostenlos verwenden können.
Dennoch müssen sich Gesellschaft und Politik grundsätzlich mit der Frage beschäftigen, unter welchen Rahmenbedingungen Informationssammlung, ‑bereitstellung und ‑nutzung erlaubt sein soll. Die DSGVO ist hierfür ein erster Schritt, aber die zunehmenden Möglichkeiten der Datenanalyse erfordern hier eine weiterführende Diskussion zur Ethik der Digitalisierung.
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