Die weltweite Datenmenge wächst und wächst. Big Data kommt auch den Versicherungen zugute, deren Geschäftsmodell die Auswertung von Informationen ist. Damit bewerten sie Risiken, um diese zu versichern. Die Verfügbarkeit großer Datenmengen verändert aber die Herangehensweise der Risikobewertung substanziell und bietet weitere Chancen, dies veranschaulicht Antonio Canas in seinem Artikel auf „Insurance Nerds“. Er macht allerdings die Rechnung ohne die Aufsichtsbehörden.
Wer heute eine KFZ-Police abschließen möchte, muss eine ganze Reihe von Angaben machen, zum Beispiel zur Verfügbarkeit einer Garage oder ob Familienangehörige unter 21 Jahren das Auto nutzen. Zusammen mit dem Modell des Fahrzeugs und der Region, in der das Fahrzeug zugelassen ist, kann der Versicherer dann das Schadenrisiko einschätzen und eine entsprechende Prämie festsetzen.
„The old tools (spreadsheets, relational databases, SQL, business intelligence tools, etc.) were created to work on exact data, the new tools are designed to work with large quantities of imperfect data.”
Dies geschieht, indem Versicherungsunternehmen auf Basis von Erfahrungen aus der Historie Regeln ableiten. Aufgrund begrenzter Rechenkapazitäten bilden diese Regeln bislang – vereinfacht gesprochen – einfache lineare Beziehungen ab, z.B. „Wenn a und b, dann c“. Diese einfache Abbildungslogik erfordert aber eine exakte Datenerhebung, denn nur kleine Fehler in den Datenangaben können zu ganz anderen Ergebnissen und damit Tarifen führen.
Doch durch Big Data hat sich die Ausgangslage verändert: Nun ist es möglich, versteckte Muster hinter den Daten zu erkennen. Statt wenigen, aber exakten Daten arbeitet man nun auf einer großen Menge an Daten. Möglich ist diese Entwicklung natürlich nur, weil zum einen inzwischen große Mengen an – meist unstrukturierten – Daten digital vorhanden sind und zum anderen ausreichend Rechenpower verfügbar ist, um diese zu verarbeiten.
Der Autor nennt als Beispiel die Ermittlung des Risikos im Rahmen des Abschlusses einer Risikolebensversicherung: Früher hat der Versicherer vom Kunden konkrete Gesundheitsdaten erhoben und (allerdings nicht in Deutschland) teure medizinische Analysen durchgeführt, heute kann man mit einer Analyse des Verhaltens in Sozialen Medien das Risiko viel besser und billiger einschätzen.
Data Analytics verbessert auch im Banking-Bereich die Risikobewertung: Eine Kreditvergabe an Kunden mit einem schlechten Rating war bisher ausgeschlossen. Auf Basis von zusätzlichen Daten lassen sich nun die Kunden ermitteln, die trotz eines schlechten Scores ein niedriges Kreditausfallrisiko aufweisen.
Außerdem sind mit Big Data neue Ansätze im Bereich Microinsurance möglich. Risiken, die früher nicht bewertet werden konnten, weil zu wenige Datenpunkte verfügbar waren, oder deren Risikobewertung im Verhältnis zu den geringen Prämienvolumina zu teuer war, können nun versichert werden.
Genug der Euphorie, denn eine Sache berücksichtigt der Autor nicht: Was dank Big Data scheinbar unbegrenzt außerhalb Europas möglich ist, ist nicht nur hierzulande starken regulatorischen Rahmenbedingungen unterworfen. Denn Versicherer sind verpflichtet, den aufsichtsrechtlichen Behörden ihre Risikokalkulationen offenzulegen, und diese erkennen auf Basis von statistischen Verfahren identifizierte Muster (noch) nicht an.
Außerdem schränken DSGVO und Datenschutz die Möglichkeiten der Verwertung von Kundendaten signifikant ein, sodass viele der genannten Beispiele derzeit nicht umsetzbar sind. Versicherer konzentrieren sich daher im Moment im Bereich Big Data eher auf Use Cases wie Customer Analytics und Betrugserkennung im Schadenfall. Aber auch Ansätze im Bereich Risikoprävention, zum Beispiel die Verhinderung von Produktionsausfällen durch Predictive Maintenance, sind im Bereich des Zulässigen.
Letztendlich wird sich die Entwicklung zur Verwertung von mehr Daten nicht mehr aufhalten lassen, auch weil Kunden – Data-Privacy-Bedenken hin oder her – sich zunehmend einverstanden erklären, dass ihre Daten von Unternehmen genutzt werden können. Auch die Aufsichtsbehörden werden sich überlegen müssen, ob und wie sie zukünftig heuristische Verfahren in ihrer Risikobewertung akzeptieren. Insofern macht es durchaus Sinn, schon jetzt Anwendungsfälle durchzuspielen und vorzubereiten, die vielleicht erst zu einem späteren Zeitpunkt umsetzbar sind.
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