Und es bewegt sich doch: Das träge deutsche Gesundheitswesen macht mit der digitalen Gesundheitsakte „Vivy“ erste Versuche im Bereich eHealth. Zwei private und mehrere gesetzliche Krankenversicherer ermöglichen damit ihren Kunden, ihre Gesundheitsdaten in der Cloud zu speichern und per App zu verwalten, berichtet die FAZ.
Vivy ist nach der App TK-Safe der Techniker-Krankenkasse, die im April in den erweiterten Anwendertest ging und die von IBM entwickelt wurde, nun die zweite entsprechende Lösung auf dem Markt. Während TK-Safe ca. sieben Millionen potenzielle Nutzer hat, sind es bei Vivy über 13.
Gespeichert werden sollen neben Impfdaten, Labordaten und Medikationsplänen auch Überweisungen und Befunde von Ärzten. Zudem können Kunden Fitbit-kompatible Daten vom Fitness-Tracker hochladen.
Das Ziel ist klar: Es sollen Prozesse vereinfacht und beschleunigt sowie Doppeluntersuchungen vermieden werden. Außerdem bietet die App zusätzliche Services wie die Überprüfung verschiedener Medikationen auf Vereinbarkeit oder Erinnerungen an fällige Impfungen. Weitere Funktionen wie „mein Lebensstil“ mit Gesundheitstipps sollen folgen.
„Bei jeder Datenübertragung gebe es mehrstufige Sicherheitsprozesse und eine Verschlüsselung, für die nur der Versicherte den Schlüssel habe.“
Vivy und TK-Safe betonen, dass der Kunde die Hoheit über seine Daten hat und er entscheiden kann, wer Daten in seine Akte hochladen und wer welche Daten auslesen kann. Auch der Cloud-Betreiber könne die eHealth-Daten nicht einsehen.
Grundsätzlich finde ich es sinnvoll, dass gesetzliche und private Krankenversicherer ihren Kunden entsprechende Lösungen anbieten, nachdem die elektronische Gesundheitskarte (eGK) mit ihren Funktionen nur sehr langsam vorankommt, nicht zuletzt weil verschiedene Interessengruppen nicht an deren Einführung interessiert waren. Krankenversicherer schaffen so nun Fakten und treiben die anderen Beteiligten des Gesundheitswesens im Bereich eHealth voran.
Trotz der positiven Effekte sind aber auch einige Punkte kritisch zu betrachten. Neben dem immer wieder genannten Aspekt der Datensicherheit wird die Handhabbarkeit ein entscheidender Erfolgsfaktor sein. Die angebotene Funktionalität des Uploads von Dokumenten durch den Arzt nach Versand eines Webupload-Links durch den Patienten ist alles andere als benutzerfreundlich und zeitsparend. Insofern muss bald möglichst die KV-Connect-Schnittstelle realisiert werden, die es ermöglicht, Daten direkt aus dem Praxisverwaltungssystem zu versenden. Sonst wird das System bei Ärzten keine Akzeptanz finden.
Diese ist nämlich nötig, denn das Konzept basiert auf Freiwilligkeit. So sind zum Beispiel weiter- oder mitbehandelnde Ärzte nicht verpflichtet, Daten von der Vivy-Akte auszuwerten oder zu nutzen, im Unterschied zur ab 2021 durch den Gesetzgeber geplanten elektronischen Patientenakte.
Und hier reiht sich eine andere Frage an: Wie werden sich die Gesundheitsakten Vivy und Co. in die Telematik-Infrastruktur der öffentlichen Hand einfügen? Kann der reibungslose Austausch von Daten zwischen den Systemen gewährleistet werden, so wie die Anbieter es versprechen? Außerdem muss die Übertragung von Daten zu anderen eHealth-Lösungen sichergestellt werden, wenn der Kunde die Krankenkasse wechselt. Neben der technischen Herausforderung ist das eine wettbewerbspolitische, denn die Krankenkassen nutzen die Lösung sicher auch als Kundenbindungsmaßnahme. Ein reibungsloser Wechsel kann daher nicht in ihrem Interesse sein.
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